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Erleidet Binance gerade eine antisemitische Boycott-Kampagne?

Erleidet Binance gerade eine antisemitische Boycott-Kampagne?

BitcoinblogBitcoinblog2024/08/30 00:01
Von:Christoph Bergmann
"Free Palestine"-Demo. Die Grenze zwischen Bewegung und Terrorismus ist bei dem Thema nicht immer scharf. Bild von Gigi Ibrahim via flickr.com. LIzenz: Creative Commons

Jeder Börse geht selbstverständlich gegen Terror vor. Auch Binance. Nun löst das aber einen Aufschrei aus und eine Boykott-Kampagne – weil sich der Terror gegen Juden richtet? Oder weil Binance unschuldige Palästinenser diskriminiert? Die Faktenlage ist unklar, die Empörung umso größer.

Derzeit kann es schnell gehen. Nur wenige Stunden, nachdem Ray Youssef von noOne behauptete , Binance friere die Accounts ALLER Palästinenser ein, wurde daraus ein Sturm.

In den sozialen Medien trendet das Hashtag #boycottbinance, und viele User posten Screenshots, wie sie ihre Bitcoin, Ether oder Tether von der mutmaßlich größten Krypto-Börse der Welt abziehen. Das ganze geht einher mit einer Lawine an Vorwürfen, die gar nicht stark und radikal genug sein können.

„Es ist nicht nur Mittäterschaft am Genozid – es ist Mord!“ schreibt Ray Youssef. Und, damit es auch sitzt: „Genozid und Rassimus sind schlimm.“ Wer auf Twitter das Hashtag „#boycottbinance“ abruft, findet Posts wie die von Ray in Schwärmen: „Binance unterstützt Genozid, daher unterstützen wir nicht länger Binance“ heißt es hier, dort sogar: „Ich habe alle meine Coins aus dieser Baby-tötenden Firma abgezogen“, und woanders: „Boykottiert Zionisten-Binance, das die mörderischen Zionisten unterstützt.“ Und so weiter. Man könnte meinen, Binance werfe höchstpersönlich Bomben auf unschuldige Kinder.

Mittlerweile teilt auch der große Account „Defund Israel Now“ den Boykott-Aufruf und hat die Börse in die immer weiter wachsende Liste der Unternehmen aufgenommen, die zu boykottieren sind. Auch auf LinkedIn wird die Behauptung, Binance habe die Accounts aller Palästinenser eingefroren, dutzend- und aberdutzendfach geteilt, oft mit dem Zusatz, Binance sei ein Mittäter im Völkermord. Und natürlich lässt sich Facebook auch nicht lumpen, wo die Boykott-Aufufe gegen Genozid-Binance weite Kreise ziehen.

Die Wirkung des Boykotts ist bisher überschaubar. Zwar frohlocken manche, dass aus Binance in den letzten 24 Stunden schon mehrere Milliarden Dollar in Bitcoin abgeflossen sind. Aber das ist eine sehr selektive Wahrnehmung, die weder einer Sicht im 30-Tages-Schnitt noch dem Blick auf andere Kryptowährungen Stand hält.

Das beunruhigende an der Kampagne ist, wie viele Menschen sich von Behauptungen mitreissen lassen, ohne auch nur daran zu denken, sie prüfen. Don’t trust, verifiy ist offenbar außer Mode.

Ray Youssef türmt sogar zwei Behauptungen auf einander. Die erste ist die des Genozids, den er in fast jedem Tweet erwähnt. Dabei hat der Internationale Gerichtshof im Januar erklärt , dass er derzeit nicht sagen könne, dass Israel in Gaza einen Genozid begehe. Das liegt auch irgendwie nahe, da Israel die Menschen im Gaza vor Angriffen evakuiert und mit Trinkwasser versorgt (heißt aber nicht, dass Israel keine Verantwortung trägt, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern!). Auch für die Behauptung von von Ray Youssef, Binance konfiziere die Accounts aller Palästinenser, gibt es keinen brauchbaren Hinweis.

Aber der Vorwurf ist im Raum, und es ist erschreckend, wie wenig Menschen sich die Mühe machen, hinter ihn auch nur ein vorsichtiges Fragezeichen zu setzen, bevor sie in Empörung verfallen. Genau dieses Vertrauen in Behauptungen ist es doch, wogegen Bitcoin in finanzieller Hinsicht angehen sollte. Anstatt der Bank zu trauen, wie viel Geld man hat, verifiziert man die Blockchain.

Und was Binance und die Palästinenser angeht, haben wir nichts, als ein einzelnes Dokument. Dessen Logik würde es zwar grundsätzlich möglich machen, dass sehr viele Palästinser in Mitleidenschaft gezogen werden, auch wenn sie nicht an die Hamas gespendet haben. Doch Hinweise, dass dies geschieht, gibt es nicht einen. Es gibt so gut wie keine Meldungen von Palästinensern, dass sie gesperrt werden. Wäre das nicht das Mindeste, bevor man einer Börse vorwirft, Babys zu töten?

Nachdem schon ein Sprecher von Binance den Vorwurf dementiert hat, weist ihn auch Binance-CEO Richard Teng zurück. Dies sei FUD, „Fear, Uncertainty, Doubts“. Nur eine „begrenzte Anzahl an Usern, die mit illegalen Geldern verbunden sind, wurde blockiert. Es gab inkorrekte Statements darüber. Als eine globale Kryptobörse gehen wir wie alle anderen Finanzinstutionen konform mit international etablierten Regeln gegen Geldwäsche.“

Aber der Geist ist, wie schon beim Genozid, aus der Flasche. Ein Vorwurf, der in Dauerschleife ertönt, klebt selbst dann, wenn er falsch oder unbewiesen ist. Im Falle der Boykott-Kampagne gegen Binance sprechen die vorliegenden – oder fehlenden – Hinweise eher dagegen. Es steht Behauptung gegen Behauptung: die Behauptung von Ray Youssef, der es nicht wissen kann, gegen die Behauptung von Richard Teng, der es wissen muss.

Es ist durch möglich, dass Binance wie gewohnt gegen Terrororganisationen vorgeht. Kein Mensch mit Verstand kann es ablehnen, dass das Geld von Terroristen eingefroren wird. Doch womöglich wird Binance genau dafür boykottiert – weil es um Terrororganisationen geht, die Juden töten. Mord wäre es also, geht es nach Ray Youssefs perverser, inhumaner Logik, wenn eine Börse Terroristen daran hindert, Juden zu ermorden. Viel mehr Antisemitismis ginge nicht. Aber wir wissen, wie gesagt, zu wenig, um zu urteilen.

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